John Ronald Reuel Tolkien, der kleine Hobbit und "Der Herr der Ringe"

02.09.2003

(VS) Am 02.09.2003 jährt sich der Todestag von J.R.R. Tolkien zum dreißigsten Mal. Der Anglizist beschäftigte sich Zeit seines Lebens mit Sprachen, so daß er aus dem Finnischen sogar eine eigene Sprache erfand - Quenya - die Elbensprache, aus der letztlich "Der Herr der Ringe" entstand. Tolkien verarbeitete hierin die zu seinen Jugendjahren ihn erfassende industrielle Revolution in England und die ihn betreffenden industrialisierten beiden Weltkriege seiner Zeit; er hat viele seiner Kriegserlebnisse aus dem I. WK in dem Buch verarbeitet. Tolkien bestritt aber immer allegorische Zusammenhänge seiner "Geschichte" zu diesen zeitgeschichtlichen Ereignissen. Die literarische Trilogie "Der Herr der Ringe" gilt als die Erfindung des Genres "Fantasie-Roman"; sie ist die Saga eines mutigen Helden, der loszieht, um die Welt zu retten. Hier bedroht der Eine Ring die Zukunft der Welt und muß zerstört werden. Es ist eine Kurzfassung der angelsächsischen und europäischen Geschichte; deshalb besitzt es die Dichte und den Realismus, den alle Legenden haben, so daß, wenn man die Geschichte liest, man fast glauben könnte, sie sei wahr; sie beschreibt die Rückgängigmachung einer Sache, die nie hätte entstehen dürfen. Tolkiens Buch zeigt eine Welt, in der die Menschen niemandem überlegen sind. J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" wurde schon beides genannt: eine heroische Romanze und ein Klassiker der fantastischen Literatur. "Es ist unwahrscheinlich, dass es je wieder jemand wie J.R.R. Tolkien geben wird - einen modernen Klassiker." (DAILY TELEGRAPH)

Kindheit und Jugend
John Ronald Reuel Tolkien wurde am 03. Januar 1892 in Bloemfontein, Südafrika, geboren. Als Tolkien mit 4 Jahren seine Großeltern in Birmingham besuchte, starb urplötzlich sein Vater Arthur, so daß Tolkien Halbwaise wurde in einem Land, das er nicht kannte und für seinen kleinen Bruder zugleich der Ersatzvater. Die Familie zog nach Sarehole in der Nähe von Birmingham. Tolkien wurde von seiner Mutter erzogen, die seine erste Lehrerin war und ihn fürs Wort begeisterte, jedoch 1904 an Komplikationen einer Diabetes verstarb, als er gerade erst 12 war. Von da an wurde Tolkien unter der Aufsicht eines Vormundes herum geschoben und lebte in mindestens 10 verschiedenen Häusern in Birmingham. Die Schule war für Tolkien eher eine Zuflucht, sie bot ihm Beständigkeit. Hier gründete er mit Schulfreunden den TCBS, den "Tea Club of the Barrovian Society", der auf ihrer gemeinsamen Liebe zu Heldensagen und Legenden basierte. 1908 lernt er seine spätere Ehefrau Edith kennen. Der Tod der Mutter bestärkte Tolkien im Studium der Sprachen. So fing er 1911 an, in Oxford Anglistik zu studieren. Doch der I. WK zerstörte diese Idylle. 1916 diente Tolkien als Leutnant in der "Schlacht an der Somme" in Frankreich. Seine engsten Freunde dienten mit ihm und bei Kriegsende waren fast alle von ihnen gefallen. Das alleine sein mußte sein Denken stark beeinflußt haben. Es heißt, hier fand er sein Hauptthema, den Tod.

Oxford und "Der kleine Hobbit"
Nach dem Krieg kehrte Tolkien nach Oxford zurück, an deren Universität er 1925 zum Professor für Angelsächsisch berufen wird. Neun Jahre nach seiner Rückkehr sollte ein scheinbar harmloser Vorfall das Leben des Professors für immer verändern. Es heißt, er habe Arbeiten benotet, sich gelangweilt und gekritzelt: "In einem Loch im Boden wohnte ein Hobbit.....". So fing alles an. Und so erschien die Geschichte dieser kleinen, naturverbundenen Geschöpfe als Buch. Sein Verleger hielt Kinder für die besten Kritiker von Kinderbüchern. So bezahlte der seinem Sohn einen Schilling dafür, Tolkiens Buch "Der kleine Hobbit" zu kritisieren. Der Sohn und spätere Verleger von "Der Herr der Ringe" schrieb am 30. Oktober 1936: "Bilbo Beutlin lebte in seiner Hobbit-Höhle und wollte nie Abenteuer, bis der Zauberer Gandalf und seine Zwerge ihn dazu überredeten. Nach einer aufregenden Zeit, in der er Orks und Wargs bekämpfte, kehrte er als reicher Mann nach Hause zurück. Das Buch enthält Karten und braucht keine Illustrationen. Es ist gut und sollte allen Kindern zwischen 5 und 9 gefallen."

Der Herr der Ringe
Nach dem Erfolg von "Der kleine Hobbit" wollte der Verleger Stanley Unwin eine Fortsetzung. Tolkien kehrte zur Mythologie zurück, an der er sein ganzes Leben arbeitete, und es entstand "Der Herr der Ringe". Er fing einfach mit der ersten Seite an, ohne irgendeinen Plan zu haben. Es gab kein Schema, keinen Inhalt. Das Werk war nie so geplant, es entstand, während Tolkien es schrieb. Und er setzte an einem kleinen Detail aus "Der kleine Hobbit" an, in dem Bilbo einen Ring fand, der bestimmend sein sollte für vieles. Denn es handelte sich um den Einen Ring, von dem es in einem uralten Lied der Elben heißt:


Drei Ringe den Elbenkönigen unter dem Himmel,
Sieben für die Zwergenherrscher in ihren Hallen aus Stein,
Den Menschen, ewig dem Tod verfallen, neun,
Einer dem Dunklen Herrscher auf dunklem Thron,
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.
Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden,
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.

"Der Herr der Ringe" ist nur die Spitze des Eisbergs. Tolkien hatte Kartons voller Seiten, die Zeit seines Lebens nie jemand zu Gesicht bekam. Er selbst hatte keine Hoffnung, daß sich jemand für seine Arbeit interessierte, zumal sie in erster Linie sprachwissenschaftlich inspiriert war und ursprünglich darauf zielte, den notwendigen "historischen" Hintergrund für die Elbensprache zu schaffen. Seine große Fantasie wurde weiter angeregt vom Studium der Philologie, germanischer Sprachen, norwegischer Sagen und angelsächsischer Lyrik. Insgesamt beherrschte er Latein, Griechisch, Walisisch, Altwalisisch, Finnisch und Altenglisch. Tolkien hat bis 1949 zwölf Jahre gebraucht, das Epos zu schreiben. Der 1. und 2. Band der Trilogie, "Der Herr der Ringe", wurde 1954 von "Allen & Unwin" verlegt; Band drei folgte 1955. Er war nun über 60. Niemand durfte ihn redigieren. Er war schließlich Professor für Anglistik und wusste, was er schrieb. Rayner Unwin, der den "kleinen Hobbit" mit 9 Jahren kritisiert hatte, rechnete mit einem Verlust von 1.000 Pfund. Aber der kam nicht. Das Buch wurde immer beliebter und wurde das meist gelesene Buch des 20. Jahrhunderts nach der Bibel. 1972 bekam Tolkien von der englischen Königin einen Orden und von der Universität Oxford einen Ehren-Doktortitel für seine literarischen Verdienste.

Tolkien vs. Allegorien
Obwohl einige Literaturexperten Parallelen zwischen dem Buch und dem II. WK sehen, bestritt Tolkien stets einen Zusammenhang; er war erschüttert über die modernen Analogien, die zu seinem Werk hergestellt wurden. Tolkien hat immer abgestritten, dass der "Ring" auf dem Aufstieg Hitlers basierte. "Was irgendwelche tiefere Bedeutung oder ´Botschaft´ betrifft, so gibt es nach der Absicht des Verfassers keine. Das Buch ist weder allegorisch noch aktuell. Ich habe eine Abneigung gegen Allegorien in all ihren Erscheinung, und zwar, seit ich alt genug war, um ihr Vorhandensein zu entdecken." sagt Tolkien. "Wahre oder erfundene Geschichte mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung der Leser ist mir viel lieber. Viele verwechseln ´Ànwendbarkeit´ mit ´Allegorie´, aber die eine ist der Freiheit des Lesers überlassen, die andere wird ihm von der Absicht des Verfassers aufgezwungen."

Die Anwendbarkeit des "Ring"
Neue Leser können stets eine Bedeutung aus ihrem eigenen Leben hineinlegen, gerade wegen dieser "Anwendbarkeit", die es einem ermöglicht, bei der Findung der wahren Bedeutung aus der eigenen Erfahrung zu schöpfen. Die Idee ist der heidnischen Sichtweise, Mut zu zeigen gegenüber einer Übermacht, entlehnt; dass man immer weitermachen kann und Hoffnung findet in der Hoffmungslosigkeit. "Wenn man den Tiefpunkt erreicht hat und alles am düstersten erscheint, dann wird man wachgerüttelt und findet in sich selbst die Stärke, um wenigstens zu versuchen, mit der Situation fertig zu werden" so Viggo Mortensen, Darsteller des Aragorn im aktuellen Kinofilm. Frodo ist nicht der einzige Held. Ohne das Heldentum all derer, die ihm geholfen haben, hätte Frodo versagt. Unsere Schicksale sind miteinander verbunden, es gibt keinen einzelnen Helden. Tolkien ist zutiefst pluralistisch in "Der Herr der Ringe". Es ist ein multikulturelles Buch. Es ist voller Hoffnung. Tolkien nannte es "Hoffnung ohne Garantie". Genau das bietet sein Buch. Verzweiflung ist nur für die, die mit Sicherheit wissen, was die Zukunft bringt. Verzweiflung ist nicht nur theologisch gesehen eine Sünde, sie ist auch ein einfacher Fehler, denn niemand weiß, was passiert.

Tolkiens Leben - Tolkiens "Ring"
Der Herr der Ringe spielt in einer mystischen Welt voll mächtiger Königreiche verteilt auf einem weitläufigen Kontinent Namens "Mittelerde". An diesem Ort ist nicht alles in Ordnung; diese Welt befindet sich im Übergang zwischen zwei Epochen. Nur ein kleines Fleckchen Erde bleibt von dem Konflikt verschont; seine Bewohner leben in seliger Verkennung der Gefahren, die hinter ihren ertragreichen Feldern liegen. Die Geschichte wird von manchen als die Erzählung des 20. Jahrhunderts gehandelt. Sie ist sehr philosophisch und handelt von Freundschaft, Mut und Bescheidenheit. Man stellt sich den dunklen Seiten seiner Seele und erfreut sich an den hellen. Die meisten Geschichten dieser Art haben keinerlei Wurzeln in der Wirklichkeit. Nicht so in "Der Herr der Ringe".

Naturverbundenheit
Die Einzigartigkeit von Tolkiens Geschichte ergibt sich aus deren Faktenbezug. Tolkien erlebte seine Kindheit im englischen Dörfchen Sarehole. Die friedliche Landschaft im Umfeld dieses Dorfes spielte eine entscheidende Rolle in der Prägung des jungen Tolkien; an diesem abgeschiedenen Ort fühlte man sich sicher und war weit weg von den Turbulenzen, die bald über Europa hereinbrechen würden. Er entwickelte nicht nur eine tiefe Verbundenheit mit der Natur, sondern auch das Gefühl, für ihren Schutz verantwortlich zu sein. Tolkien hatte großen Respekt vor der Erde. Er sah die Natur nicht als Vorratskammer an, aus der man sich beliebig bedienen könne.

Sarehole vs. Industrie
Man erkennt Zusammenhänge zwischen Sarehole und dem Inhalt des Buches: Die "Hobbits" im Buch ähneln den Menschen, mit denen Tolkien aufwuchs; er liebte diese einfachen Menschen. Und er zeigt in dem Buch sehr deutlich, wie wichtig es dem Helden (Frodo) ist, diese Welt zu erhalten. Als Tolkien Teenager war, hatten sich die Tentakel der industriellen Entwicklung bis nach Sarehole ausgebreitet und zerstörten seine geliebte Landschaft. Die industrielle Revolution hatte in England viele Kinder zu Sklaven in Fabriken gemacht. Ganze Familien und viele Bauern wurden in die Kohlengruben geschickt, um den unendlich großen Bedarf für die Rohstoffverarbeitung zu bedienen. Tolkien war bewußt, daß die Stadt immer näher kam. Immer mehr veränderte sich seine heile Welt. Niemand wußte damals, wie es die Menschen beeinflussen würde. Er stellte es in dem Buch so dar, daß die heile Welt von bösen Mächten angegriffen würde. Man sieht diese Kontraste im "Herrn der Ringe", den Kontrast zwischen dem Grünen hier und dem Schwarzen dahinter. Tolkiens Heimat stand kurz davor, von einer zerstörerischen Kraft vernichtet zu werden.

Der I. Weltkrieg und die ersten Notizen
Als junger Erwachsener mußte Tolkien erleben, wie sich 1914 gewaltige Mächte zum Krieg bereit machten. Genau wie Tolkien seinen Kampf um Mittelerde darstellte, verschoben sich die politischen Grenzen innerhalb Europas in einem tödlichen Muskelspiel der zentralen Mächte; das Ergebnis war der Krieg aller Kriege. 1916 waren Tolkien selbst und die meisten seiner Studienkameraden an die Front geschickt worden, um den Kampf gegen den einen großen Feind zu kämpfen. Als sie an die Front kamen, zerbrach das Heldenbild der jungen Männer an der grauenhaften Realität des Schlachtfeldes. Im Schnitt blieb ein Infanterist 6 Wochen am leben. An der Somme, wo Tolkien eingesetzt war, tobte die Hauptschlacht der Westfront; tausende Soldaten kämpften 4 Monate lang. Tolkiens erste Beschreibungen von Mittelerde entstanden mit Bleistift in einem Notizbuch in den Gräben des I. WK; dort wurde Mittelerde geboren. Die Hierarchie der britischen Armee war damals klassenorientiert. Offiziere kamen von der Universität, wie Tolkien. Die ungebildeten Männer stellten die Infanterie, in Tolkiens Fall Bergarbeiter und Weber aus Lancashire. Diese Kluft besteht auch im "Herrn der Ringe". Frodo ist ein gebildeter Hobbit der Mittelklasse und Sam ist sein Gärtner. Sie verbindet laut Tolkien dasselbe, was Offiziere und Mannschaften im Krieg verband. Die Bilder des Krieges hatten vermutlich einen viel größeren Einfluß auf Tolkiens Vision. Nachts glühte der Himmel vom Kanonenfeuer förmlich genau wie der Himmel über Mordor am Schicksalsberg. In der Schlacht an der Somme sahen sich Tolkien und seine Kameraden den brutalsten Kriegsmaschinen des Industriezeitalters gegenüber. Panzer, Giftgas und Maschinengewehre mähten die Männer in brutalen Angriffen nieder. Tolkiens Erinnerungen und seine Notizen aus den Schützengräben spiegeln sich in der Geschichte "Der Herr der Ringe" wider.

Recherchen
Nach dem Krieg entwickelte sich diese Geschichte in seinem Kopf weiter und weiter. In Oxford studierte er weiter alte Sprachen und Geschichte. Tolkien sagte, er hätte Mittelerde nicht erfunden, sondern wieder entdeckt. Er ließ sich von den Bräuchen, der Geschichte und den Sprachen des frühen Mittelalters inspirieren. Die Ruinen, die in Mittelerde verstreut sind, ähneln Englands alten Ruinen. Von den mysteriösen jungsteinzeitlichen Monumenten in Stonehenge bis hin zu den Ruinen aus 4 Jahrhunderten römischer Herrschaft. Tolkien legte seinen Schwerpunkt auf die Zeit der Angelsachsen, die eine der meist gesprochenen Sprachen der heutigen Zeit hervorbrachte - Englisch. Die Angeln und die Sachsen waren germanische Krieger, die zur See fuhren; sie segelten im 5. Jahrhundert nach Britannien. Sie waren Söldner in einer Zeit von Völkerwanderungen und Schlachten in ganz Europa. Es gab große Veränderungen im 5. und 6. Jahrhundert. Zwischen diesen Epochen ließen sich die Angelsachsen in England nieder. Sie konnten fast ausnahmslos weder lesen noch schreiben; deshalb wurden die Heldengeschichten ihrer Vorfahren durch Erzählungen und Lieder weitergegeben. Die meisten dieser Mythen und Sagen gingen nach dem Sieg der Normannen über England im 11. Jahrhundert verloren. Als die angelsächsische Kultur verschwand, starb auch ihre große erzählerische Tradition.

Englands Identität
Tolkien empfand den Verlust dieser überlieferten Geschichten als Vernichtung der Wurzeln des englischen Volkes. Dies inspirierte ihn, eine neue Mythologie für England zu schreiben. Viele halten die Geschichten um König Artus für englisch, aber das ist ein Mischmasch aus verschiedenen Quellen, vor allem aus Frankreich, dem alten Feind. Tolkien wollte Großbritannien, das nicht viele Mythen hat, eine nationale Identität geben. Eine der wenigen Quellen Tolkiens, Wissen über die Angelsachsen zu erlangen, war das Gedicht "Beowulf". Tolkien wurde zu einem der weltweit besten Schüler "Beowulfs". Die Saga handelt von einem nordischen König, der stirbt, während er mit einem Drachen kämpft, mit dem noch niemand vor ihm zu kämpfen gewagt hatte. Eine der intensivsten Szenen des Gedichtes ist die Seebestattung eines Königs einsam von seinem Schiff aus, das voll mit Schätzen ist. Jahrhunderte lang galt die Geschichte nur als Legende. Doch fanden Archäologen an der östlichen Küste Englands das alte Schiff eines angelsächsischen Königs. Es fanden sich Mengen unglaublicher Schätze. Dieses Begräbnis war wie ein Gedicht. Die Menschen ordneten besondere Dinge auf besondere Weise an. Sutton Hoo schien plötzlich die Realität hinter Beowulf zu sein. Tolkien muß von diesem außerordentlichen Fund gewußt haben. Es war 1939, kurz bevor er mit der Arbeit zu "Der Herr der Ringe" begann. Im Buch ist es Boromir, der als Sohn des Truchsess von Gondor auf See bestattet wird. Und das zerstörte Grab eines Zwergenkönigs spiegelt die gleiche Verehrung wider, die die Angelsachsen ihren Anführern entgegen brachten. Eines der spektakulärsten Fundstücke von Sutton Hoo ist der Helm des Königs. Der Teil, der über den Helm geht, symbolisiert einen Drachen; er hat zwei kleine Augen und ein furchteinflößendes Maul. Die Wesen, die auf den Helmen der Angelsachsen zu sehen sind, zeigen die Werte und Vorstellungen dieser auf. Tolkien fand, daß Monster Hoffnungen und Ängste der Menschen verkörpern. In der angelsächsischen Schmiedekunst erkennt man Monster als Symbole für Mut, Loyalität und Widerstandskraft. So waren in der analphabetischen Welt der Angelsachsen die Schmiede die Poeten; sie schufen so anstelle eines Buches etwas bleibendes.

Die Elbensprache, Karelien und das Kalevala
Von allen Völkern Mittelerdes waren die Elben Tolkien die liebsten. Sie sind die idealen Geschöpfe; Rein, wunderschön und unsterblich. Tolkien erfand für sie eigene Sprachen. Eine der Hauptinspirationsquellen Tolkiens für seine Elbensprache ist eine Sprache, die in Karelien, einer abgeschiedenen Gegend voller Dörfer und Seen, zwischen Finnland und Russland gesprochen wird. Das alte Lied, das dort gespielt wird, ist das Kalevala, "Das Land der Helden", ein großes Werk und eines der größten Kulturgüter Finnlands. Vor 50 Jahren gab es etwa 6.000 Sprachen auf der Welt. Heute werden etwa 3.000 davon nicht mehr gesprochen. Es gibt in Finnland nur noch einen Weisen, der das Kalevala vollständig aus dem Gedächtnis singen kann. "National Geographic" hat sich zur Aufgabe gemacht, das Kalevala für die Nachwelt zu erfahren. Tolkien brachte sich selbst Finnisch bei, um diese monumentale Ansammlung alter Gedichte verstehen zu können. Fast alles, was ein Mensch erleben kann, steht in diesen Texten. Das Kalevala spiegelt die Geschichte der Finnen wider, die am Ende der letzten Eiszeit nach Norden zogen. Sprachwissenschaftler glauben, daß die Saga und die Sprache aus einer noch früheren Zeit stammen. Es geht zurück zur Zeit der Schamanen, noch bevor man in Finnland Ackerbau betrieb, als die Menschen noch keine Schrift kannten, als noch alles wichtige mündlich weitergegeben wurde; so entstand die Sprache aus dem Wortschatz der besten Erzähler. Die Tradition des Kalevala ging fast verloren, als die Schweden im späten Mittelalter in Finnland einfielen und im 19. Jahrhundert sprachen bereits die meisten gebildeten Finnen schwedisch. Ohne das Kalevala würden die Finnen heute schwedisch oder russisch sprechen. In der heutigen Zeit wird ein kleines Stück des Gedichts bei Sportveranstaltungen vorgetragen und die Kinder lernen in der Schule die wichtigsten Strophen. Tolkien lies sich vom Kalevala inspirieren als er die Sprachen von Mittelerde erfand. Quenya, die Elbensprache, basiert eindeutig auf dem Finnischen. Er fand auch viele Themen und Anregungen für seine Figuren. Der Held des Kalevala ist ein weiser alter Anführer, der Zauberkräfte besitzt. Dieser Held spiegelt sich in der Figur "Gandalf" wider, der ebenso mit der Kraft der Worte arbeitet. Sowohl "Der Herr der Ringe" als auch das Kalevala handeln von einem wichtigen Gegenstand. In dem finnischen Gedicht heißt er "Sampo". Wie der Ring, bringt er dessen Besitzer großes Glück, muß aber zum Schluss um des Friedens willen zerstört werden.

Der II. Weltkrieg
Das Kalevala steht, wie alle Mythologien, für den Kampf zwischen Gut und Böse. Tolkien legt sein Hauptaugenmerk auf diesen Kampf, den er im I. WK selbst erlebt hatte. Aber er konnte nicht damit rechnen, daß eine noch dunklere und gefährlichere Macht ihre Hände nach der Welt ausstreckte. 1939 marschieren die Deutschen in Polen ein. Und John R.R. Tolkien beginnt seine Arbeit an "Der Herr der Ringe". Die ersten Kapitel gingen ihm leicht von der Hand. Doch als der Krieg für England begann, konnte er kaum schreiben, denn seine Söhne kämpften an der Front und diese Situation war für Tolkien fast unerträglich.

"Der kleine Mann"
Der Krieg, wie seine Fantasie spielten bei dem Buch ein große Rolle. Tolkien wußte, daß in einem Krieg immer die kleinen Leute, die ganz normalen Menschen die wahren Heldentaten vollbringen. Dies zeigte sich im Sommer 1940, als die Deutschen acht Monate lang englische Städte bombardierten und im Buch sind es letztlich die kleinen Hobbits, die den dunklen Herrscher besiegen. Indem er anbietet, der Überbringer des Rings zu werden, zeigt Frodo, daß eine gewöhnliche Einzelperson die Menschheit durch unruhige Zeiten führen kann. Tolkiens Held ist ein Jederman, den wir bewundern und nachahmen können. In Tolkiens Geschichten geht es um mythische Qualitäten und Menschlichkeit, die ein immer wiederkehrender Faktor ist, jenseits aller politischer Richtungen. Der Herr der Ringe verlieh einem der ältesten mythologischen Themen eine neue Würze: Der Suche. Helden, die zu Reisen aufbrechen, um ihr Volk zu retten. Die Idee der heldenhaften Tat stirbt nie aus.

Eine moderne Parallele
Eine erstaunliche moderne Parallele zu Frodos Reise zeichnete sich vor einiger Zeit in Kongo in Afrika ab. Micheal Fay ist Ökologe und arbeitet für eine Naturschutzorganisation. In Begleitung von 8 Führern begab er sich auf eine fast unmögliche Expedition. Fay hatte vor, 2000 Meilen durch eine Landschaft zu wandern, die erst wenige Menschen gesehen hatten. Durch Kongo und Gabun zum atlantischen Ozean. Genau wie Frodo Hobbingen retten wollte, wollte Fay auch einen kostbaren Ort retten. Er wollte die Welt davon überzeugen, den Regenwald nicht abzuholzen, indem er Informationen über dessen einzigartige Pflanzen- und Tierwelt sammelte.
Es geht hier um dieselben Werte wie zu Tolkiens Zeiten. Das Böse ist die unbegrenzte Ausbreitung der Industrialisierung. Fay´s Ziel ist, der Menschheit ein Gefühl für die Verantwortung der Erde zu geben; "auf diesem Planeten wird die Natur schneller zerstört als die Menschheit verkraften kann". Der gleiche Gedanke beherrscht den Herrn der Ringe. Dies ist auch die Botschaft der Elbenkönigen Galadriel. Sie gibt die Fackel an die Menschheit weiter. Sie fragt den Leser, "Was willst du mit dieser Welt tun?"; sie war unser Paradies, aber jetzt seid ihr, die Menschen dafür verantwortlich. So sagt Vincent Price, der Schauspieler des Saruman: "Viele Menschen wollen eine gerechte Welt, eine gute Welt. Doch gerade jetzt herrschen mehr Konflikte, mehr Kriege als jemals zuvor. Was unternehmen wir dagegen? Wer trägt den Ring?"

Das Böse
Über den Kampf von Gut und Böse hinaus geht es im Herrn der Ringe um die Bereitschaft, bis zum Tod für die Werte der Welt zu kämpfen. In den Ringgeistern wird ein Aspekt von Tolkiens Sicht des Bösen deutlich: Ein moralisches Vakuum, das Fehlen eines unabhängigen Lebens.
"Die Ringwraiths (Ringgeister) sind Tolkiens originellstes Bild des Bösen. Da er Philologe war, sollten wir das Wort "Wraith" mal betrachten. Was ist ein "Wraith"? "Wraith" ist mit vielen bekannten Worten verwandt: "Wrath", was "Wut" bedeutet, "Wreath", was "Kringel" bedeutet oder "Writhe", was "sich kümmern, winden" bedeutet. Das suggeriert, das die Form, nicht die Substanz einen "Wraiht" ausmacht. .... Es ist eindeutig etwas sehr Modernes. Tolkiens Generation fiel es schwer, das Böse zu identifizieren, aber nicht, es zu erkennen, sie mussten es durchleben. Erstaunlich war, dass dieses Böse von normalen Menschen verursacht wurde. Der Veteran Tolkien wusste, dass die eigene Seite auch solche Taten beging. Das Böse im 20. Jahrhundert war seltsam unpersönlich. Als ob niemand diese Rolle übernehmen wollte. Schließlich wurden die grässlichsten Greueltaten des 20. Jahrhunderts von Bürokraten ausgeübt. Menschen die sowas tun sind "Wraiths". Sie haben den "Wraiths-Prozess" durchlaufen und wissen nicht mehr, was gut oder böse ist. Es ist Routine geworden. Man hatte gute Absichten, aber irgendwie geht alles schief. Ein Bild des Bösen, das höchst unerfreulich ist, denn es sagt aus: Du könntest so sein. Und unter bestimmten Umständen wirst du auch so sein. Wer sagt, Fantasy-Romane sind eskapistisch, entziehen sich der Welt, der entzieht sich der Sache. Die Romane stellen sich Problemen, denen sich kaum einer stellen will. Ganz am Anfang bittet Gandalf Frodo, ihm den Ring zu geben. Als Frodo ihm den Ring geben will, wird er sehr schwer. Als ob Frodo oder der Ring selber, es nicht möchte. Wer war es? Frodo oder der Ring? War es Frodo, so sind wir im freudschen Universum. Da er den Ring behalten will, macht sein Unterbewusstsein ihn schwer. Dann ist die Quelle des Bösen in ihm. Oder hat der Ring sich schwer gemacht? Dann ist der Ring eine Macht von außen, die dich täuschen kann, auch, wenn du es nicht zulassen willst. Wenn das Böse nur von außen kommt, könnte man den Ring jedem guten Menschen anvertrauen. Kein Problem. Aber so ist es ja nicht. Man kann keinem vertrauen, da jeder etwas in seinem Herzen trägt, das der Anfang des Bösen ist. Manchmal ist der Ring eine Macht von außen, gegen die man sich wehren muss, und manchmal verstärkt er nur die eigenen Probleme und Schwächen. Der Ring macht offensichtlich süchtig. Man spürt die ganze Komplexität. Keiner kann sich selbst trauen. Wonach sind alle süchtig? Ganz offensichtlich nach Macht. Alle haben die besten Absichten und wollen die Macht, sie umzusetzen. Wer die Macht hat, will sie behalten, und aus guten Absichten werden böse." (Clive Revill in J.R.R. Tolkien - Der Erschaffer von Mittelerde). Der Ring ist aber auch modern, denn er hat sehr viel mit Technologie zu tun. Tolkien hatte ein echtes Problem mit der Technologie. Er erklärte mal, die bösartigste Kreation, die die Menschheit je gesehen hat, wäre der Verbrennungsmotor. "Die Technologie ist mächtig, verführerisch und macht süchtig. Die Gesellschaft wird abhängig von der Technologie. Wenn etwas schiefgeht, dann richtig."
John R.R. Tolkien verstarb am 02.09.1973 in Bournemouth/Großbritannien im Alter von 81.

"Keine imaginäre Welt wurde bis jetzt so vielfältig und so in sich geschlossen vorgestellt ... mit fast unendlicher Vielfalt an Geschehnissen und Charakteren - comicartig, freundlich episch, monströs oder diabolisch." - C.S. LEWIS

Quellen:

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