Wie real ist die Gefahr von Pockenanschlägen?


24.02.2003

(MF) Immer wieder wird hierzulande versucht, das Schreckgespenst eines terroristischen Anschlages mit Pockenviren hochzuspielen. In vorderster Front dabei der bayrische Innenminister Beckstein. Doch wie real ist eine solche Gefahr?

Eine der ältesten Biowaffen sind neben der Pest die Pocken. Schon im Mittelalter wurden die Leichen von Seuchenopfern in belagerte Städte und Festungen katapultiert, um deren Verteidiger zu infizieren. In Westen Amerikas waren beliebte Gastgeschenke gerade die Decken, in denen jemand an Pocken gestorben war. Ein probates Mittel, die lästigen Rothäute zu dezimieren.

Heute gelten die Pocken seit dem 8. Mai 1980 als ausgerottet. Ein weltweites Ausrottungsprogramm wurde 1967 durch konsequentes Durchimpfen der Bevölkerung in allen Staaten der Welt in Angriff genommen. 1975 wurde Indien für pockenfrei erklärt. Die letzte endemische Pockenerkrankung wurde 1977 in Somalia dokumentiert. Die letzten zwei Toten gab es nach einem Laborunfall in Birmingham. Im Jahr 1983 wurden die weltweit existierenden Pockenstämme vernichtet oder an die beiden Referenzzentren in Russland und den USA abgegeben. Seit 1983 ist aus diesem Grund auch kein Impfstoff mehr hergestellt worden. 1999 wurde die geplante Vernichtung der Pockenstämme in Russland und in den USA auf das Jahr 2002 verschoben. Heute ist an eine Vernichtung dieser Stämme keine Rede mehr.

Weltweit gibt es offiziell nur noch zwei Labore, die den Pockenerreger zu angeblichen „Forschungszwecken“ aufbewahren. Eines davon befindet sich in den USA (Centers of Disease Control and Prevention in Atlanta, Georgia) das andere befindet sich in Russland (Russisches Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie in Kolzowo bei Nowosibirsk).

Schon seit langen wird darüber diskutiert, die noch vorhandenen Pockenviren zu  vernichten, damit dieser Krankheitserreger ein für alle male von diesem Planeten verschwindet. Tatsache ist, dass die USA und Russland dies bis heute unterlassen, obwohl es keinen vernünftigen Grund dazu gibt.

Doch nun soll es plötzlich eine Gefahr für einen Terroranschlag mit Pocken geben. Fragt sich nur, woher diese Viren dazu stammen. Zumal man dieses hochinfektiöse Material auch nicht im Küchenschrank aufbewahren kann, wie es neuerdings so oft sugerriert wird. .

Woher kommt dann diese angebliche Gefahr eines Pockenanschlages, wo doch nur noch die USA und Russland das Material für einen solchen Anschlag besitzen? Wie sollte es in die Hände von Terroristen gelangen, denn schließlich lagert das Material in Hochsicherheitstrakten und ist nicht an der Straßenecke nebenan erhältlich.


Das Variolavirus

Pocken, lateinisch Variola, werden volkstümlich Blattern genannt.

Der Erreger ist das zur Familie Poxviridae gehörende Variolavirus, das durch Tröpfchen-, Schmier- (Übertragung von Mensch zu Mensch) und Staubinfektion (waffenfähiges Material, wenn es in Aerosolform gebracht wird) übertragen wird. Die Inkubationszeit beträgt 7 bis 11 Tage.

 Die Pocken sind auch deshalb so ansteckend, weil Pusteleiter an Kleidern und Bettzeug monatelang infektiös bleiben kann (Staubinfektion). Das Virus gelangt durch die Nase und Mund in die Lunge, dringt dort durch das Gewebe in die nahegelegenen Lymphknoten ein, um sich dort zu vermehren. Der Krankheitsverlauf von Variola major beginnt mit einem 10 - 15 tägigen Inkubationsstadium. Danach treten im Initialstadium die ersten Krankheitserscheinungen auf. Die Krankheit beginnt Husten mit Husten. Am zweiten Tag tritt dann meistens ein Initialexanthem auf und nach neuerlichem treppenförmigem Temperaturanstieg setzt das Eruptionsstadium ein. Es entstehen erste Pockeneffloreszenzenim Gesicht, am Kopf, an den oberen Extremitäten und zuletzt an Unterschenkeln, Füßen und dem Rumpf.

Die örtliche Verteilung des Pockenexanthems folgt einer Gesetzmäßigkeit. Es gibt Körperstellen, die nie befallen werden, wie z. B. das Schenkeldreieck, und Regionen, die immer befallen werden, wie z. B. der Kopf. Handinnenflächen und Fußsohlen, das Nagelbett sowie die Schleimhäute der Atemwege und Genitalorgane sind befallen. Die Hautentzündungen bereiten spannende Schmerzen und beim Abheilen der Pusteln Juckreiz. Der Erkrankte stinkt entsetzlich auf dem Höhepunkt der Infektion, denn die klarflüssige, Viren enthaltende Flüssigkeit in den Pusteln wird durch eintretende tote Leukozyten milchig, bis schließlich alle Effloreszenzen mit Eiter gefüllt sind. Die Pusteln können durch Bakterien infiziert werden (Sekundärinfektion).  Man unterscheidet zwischen einer Variola abortiva, discreta, semiconfluens und confluens, die die Dichte des Pustelausschlags und die Schwere des Verlaufs kennzeichnen. Die Pusteln werden zu Krusten und Schorfen, die nach dem Abfallen tiefe und hässliche Narben hinterlassen. Auf weißer Haut ist das Narbenfeld deutlich gerötet, auf schwarzer Haut erscheinen die Narben wie eine weiße Pigmentierung der Haut. Verläuft die Krankheit sehr schwer, dann sind oft Folgeschäden zu erwarten. Es können Augenschäden bis zur Erblindung auftreten, Taubheit, Lähmungen und Hirnschäden. Im schlimmsten Fall muss der Patient mit dem Tode rechnen. Die Sterblichkeitsrate liegt für Variola major bei 30% bei Variola minor bei 5%
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Genau diese Fragen werden auch in den USA gestellt. Dort hatte Bush ein Impfprogramm für 10 Millionen Menschen aufgelegt und sich angeblich selber impfen lassen. Bisher sollten in den USA bereits mehr als eine viertel Million Menschen geimpft sein, allerdings haben sich bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 4000 Menschen impfen lassen. Ganz offensichtlich wird das Impfprogramm in den USA boykottiert. Dort weigern sich Krankenhäuser und sogar die Gesundheitsministerien einiger Bundesstaaten, die Impfungen durchzuführen, da sie keinerlei Sinn in dieser Aktion erkennen. Gewerkschaften haben mittlerweile gar zum Boykott der Impfungen aufgerufen.

Ein weltweites Ausrottungsprogramm kam 1967 in Gang, und schon 1977 ist aus Somalia die letzte Pockenerkrankung dokumentiert. Die Massenimpfungen engten die ökologische Nische beispiellos ein, um sie schließlich völlig zuzumauern. Weil das Pockenvirus kein Tier als Wirt besitzt und so ausschließlich im Menschen lebt, wurde ihm durch die generell erzielte Immunität die Fortpflanzungs- und Übertragungsmöglichkeiten genommen. Bei den Pocken genügt es beispielsweise, wenn 40 % der Bevölkerung geschützt sind, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. Erreicht dieser Anteil sogar 60 %, so hat die Krankheit keine Verbreitungschance, da die Bevölkerungsdichte für eine massive direkte Ansteckung dann nicht mehr ausreicht. Bei ihrer Vollversammlung am 8. Mai 1980 stellte die WHO feierlich fest, dass die Erde frei von endemischen Pocken ist. Somit ist keine Pockenschutzimpfung mehr erforderlich und seit 1983 ist kein Impfstoff mehr erhältlich.

Wenig vertrauenerweckend dürfte auch das Gesetz aus dem neuen Ministerium für Innere Sicherheit (Homeland Security) sein, dass keinen Schadensersatz für die bekannten Nebenwirkungen bei einer Pockenimpfung zulässt. Bekannte Nebenwirkungen können besonders bei immunsuprimierten Menschen zu schweren Impfreaktionen oder sogar zum Tod führen. Warum also ein unnötiges Risiko einer Impfung eingehen, wenn es gar keinen Beweis für eine wirkliche Gefahr gibt? Denn eine Epidemie würde niemals landesweit ausbrechen, sondern nur regional. Aus diesem Grunde würden regionale Impfkampanien bei dem Auftreten einer Pockeninfektion vollkommen ausreichen, zumal ein mit pockeninfizierter Patient durchaus noch im nachhinein geimpft werden kann.

Zufällig haben Karl Hostetler et al. von der University of California in San Diego zeitgerecht einen Impfstoff auf Pillenbasis entwickelt. Tests mit Kuhpocken infizierten Mäusen hätten gezeigt, dass das oral eingenommene Antiviren-Medikament dazu dienen könnte, "einen zukünftigen Ausbruch der Pocken zu behandeln und einzudämmen", so der Forscher. Derzeit ist das Mittel noch nicht erhältlich: Vor einer Anwendung beim Menschen müssen den Forschern zufolge noch weitere Tierversuche und klinische Studien durchgeführt werden. Bestätigen diese Untersuchungen die bisherigen Ergebnisse, dann könnte die Einnahme der Pille über 5 bis 14 Tage den Pocken vorbeugen oder die bereits ausgebrochene Krankheit bekämpfen, so Hostetler. "Bislang beruhte die Ausrottung und Kontrolle der Pocken auf der Impfung“. Das oral eingenommene Anti-Virenmedikament kann jedoch dazu dienen, "einen zukünftigen Ausbruch der Pocken zu behandeln und einzudämmen", so der Forscher. Mittlerweile hat das Medical Research Institute of Infectious Diseases der US-Armee das Projekt mit der Anti-Pocken-Pille aufgenommen. Warum man eine Antipockenpille entwickeln muss, wo diese Infektion doch ausgerottet ist, wurde bisher nicht erklärt.

Außerdem stellt sich die Frage, warum Terroristen ein extrem aufwendiges Labor betreiben sollten, wo sie Pockenerreger aufbewahren und vervielfältigen, zumal ein solches Labor nicht unbeobachtet betrieben werden könnte, da sich der Erreger eben nicht in einem Hinterhoflabor züchten lässt.

Die Berichte der CIA, die angeblich Biowaffenlabore in Afghanistan entdeckt haben will, mussten im nachhinein dementiert werden, da man keinerlei Spuren von biologischen Kampfstoffen gefunden hat, sondern lediglich ein Labor, das medizinischen Zwecken diente. Eine Angebliche Fabrik in der Gebirgsregion Shahi Kot nahe Gardez entpuppte sich als gewöhnliche Fabrik für konventionellen Sprengstoff.

Trotzalledem glaubt der CIA-Chef George Tenet an ein „hochentwickeltes Biowaffenprogramm“ der Al Quaida. Und bei diesem Glauben muss er auch zunächst bleiben, da er echte Beweise bisher schuldig blieb.

Die Terroristen haben gezeigt, dass mit einfacheren Mitteln Angst und Schrecken verbreiten können. Sie brauchen keine Biowaffen, um Menschen in Panik zu versetzen, das haben die Anschläge in New York, Washington, Djerba und auf Bali gezeigt.

Ein terroristischer Angriff mit Pocken-Erregern scheint wenig wahrscheinlich zu sein..

Nebenwirkungen

Beim eventuellen Wiederauftreten von Pocken auch in Deutschland muss man natürlich bei Massenimpfungen die Kontraindikationen gegenüber der Ansteckungswahrscheinlichkeit und der Tödlichkeit der Erkrankung von 8 bis 30 % oder noch höher abwägen. Die Kontraindikationen können aus der Wirkweise der Vacciniaviren (=Pockenimpfstoff) abgeleitet werden, die wie die echten Pockenviren zum einen das Immunsystem fordern und zum anderen vor allem die Haut befallen sowie eine Hirnentzündung herbeiführen können: Direkte Kontraindikationen sind schwere Immundefizienz (Abwehrschwäche, angeboren oder erworben), z.B. bei Aids, Transplantierten, Immunsupprimierten und Steroidbehandelten (mehr als 20 mg/Tag), Krebs, Ekzem, z.B. atopische Dermatitis, Neurodermitis, Akne, Schuppenflechte (gilt auch für Menschen, mit ehemaligen Ekzemen), Hautschäden, z.B. bei Impetigo, Verbrennungen, Herpes, Windpocken (bis diese Verheilt sind), akute behandlungsbedürftige Erkrankungen, akute entzündliche sowie chronische ZNS-Erkrankungen, z.B. Epilepsie, Lähmungen, nicht kompensierte Organerkrankungen, z.B. Diabetes, Asthma, Herz-/Kreislauferkrankungen, Autoimmunkrankheiten (MS, Rheuma...),  Schwangerschaft, Stillende, Säuglinge unter 1 Jahr, sowie Allergien gegen Impfstoffbestandteile (Antibiotika, polymyxin B sulfate, dihydrostreptomycin sulfate, chlortetracycline hydrochloride, and neomycin sulfate). Indirekte Kontraindikationen sind enge Kontakte zu Personen mit z.B. offenem Ekzem, ungeimpften Säuglingen und Schwangeren sowie mit Immundefizienz (wegen deren Gefährdung).

Laut Impfschutzgesetz §20 der Bundesrepublik Deutschland darf somit ein Großteil der Bevölkerung nicht geimpft werden. Aus Epidemiologischer Sicht dürfte dann eine Impfung der verschwindend geringen impffähigen Restbevölkerung auf die die oben genannten Kriterien nicht zutreffen keinen Sinn mehr machen.

Dr. Reinhard Kurth, Präsident des Robert Koch-Instituts, äußerte sich deutlich zur derzeit in Deutschland herrschenden Verunsicherung aufgrund einer vermeintlichen Pockengefahr. Kurth: "Wir gehen von einem sehr, sehr geringen Restrisiko aus. In Deutschland gibt es keine große Gefahr einer terroristischen Attacke mit Pockenviren. Zudem bestehen keine neuen Erkenntnisse, die darauf hindeuten würden, dass sich die Pockengefahr in der letzten Zeit erhöht hätte."

Die Wissenschaftler des Robert Koch Instituts wenden sich vehement gegen laut werdenden Forderungen, die gesamte Bevölkerung jetzt vorbeugend impfen zu lassen, da es in der gesamten Welt seit 1977 keinen einzigen Pockenfall mehr gegeben habe. Zudem könnten die Nebenwirkungen des vorhandenen Impfstoffes so schwerwiegend sein, dass eine Impfung nur in einer konkreten Bedrohungssituation überhaupt zu verantworten sei.



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