Olaf Georg Klein: Ihr könnt uns einfach nicht verstehen
Warum Ost- und Westdeutsche aneinander vorbeireden
Eichborn-Verlag 2001 ISBN 3-8218-3902-3 14,90 €

22.05.2003

(RS) Der Autor analysiert die Kommunikationsprobleme und Hindernisse zwischen Ost - und Westdeutschen. Ursache dafür sei, dass Ost und West aus einem anderen, oft genau entgegen gesetzten Sprach- und Bedeutungskontext heraus reden. Es hätten sich - ob wir es wahrhaben wollen oder nicht - im Laufe der Jahrzehnte, während der deutschen Teilung zwei gänzlich verschiedene Kommunikationskulturen in Ost- und Westdeutschland heraus gebildet.
Durch das gemeinsame Benutzen der deutschen Sprache glaube man zunächst, man rede vom selben, obwohl in Wirklichkeit beide aufgrund ihres Kontextes etwas anderes meinen und verstehen.
Dies gilt es zu entschlüsseln, um zu einer produktiven Kommunikation zu finden.

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Beispiele aus dem Buch (sehr vereinfacht dargestellt):

Der Westler ist darauf trainiert, im Berufsleben Privates vom Geschäftlichen zu trennen, was ihm ein Gefühl der Unverletzbarkeit bringt und gleichzeitig als professionelles Verhalten betrachtet wird. Also strikte Trennung von Sachebene und persönlicher Ebene.
Der Ostler habe traditionell die Gewohnheit, Persönliches und Beruflich-sachliches nicht zu trennen. Das Einbeziehen des Privaten in die Arbeitswelt gäbe ihm wiederum ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen.

Was passiert, wenn die beiden in einer Firma aufeinandertreffen und es gibt eine Diskussion?
Angenommen, der Westler kritisiert die Arbeit des Ostlers.
Dieser kann es aus Ost-Sicht als persönlichen Affront aufnehmen und dementsprechend reagieren, obwohl es aus Westsicht doch (nur) um die Sachebene ging, und nicht persönlich beleidigend gemeint war.
Ist der unterschiedlich tradierte Kommunikationskontext nicht bekannt, ruft dieses "Aneinander-vorbei-reden" Missmut auf beiden Seiten hervor.
Ausserdem seien trotz beiderseitigem guten Willen, durch das Nicht-Gelingen des Gesprächs, oft Vorurteile und Schuldzuweisungen die Folge.

Oder - jemand aus dem Westen will im Osten "westlich-professionell" seinen Job machen, ist qualifiziert, wird aber dort nicht richtig akzeptiert, weil derjenige sich aus oben genannten Wessi-Gründen weigert, sich mit seinen privaten Themen bei den Ost-Kollegen einzubringen.
Aus Ost-Sicht könne das arrogant wirken, oder zumindest nicht vertrauenerweckend.

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Der Autor bringt unzählige, einleuchtende Beispiele aus Berufsleben, dem öffentlichen und dem privaten Bereich. Er hat genau hingesehen, die verschiedenen Kontexte differenziert analysiert, mit dem einzigen Ziel - Missverständnisse aufzudecken, um einen Konsens zu finden.
Das setzt voraus, dass beide Seiten aufhören, der jeweils anderen Schuld oder Versagen zuzuschreiben, denn damit bliebe die Kommunikation stecken.

An dem Buch gefiel mir sehr, dass Ost und West gleichwertig berücksichtigt werden und dass es nie um Bewertungen geht, nichts ist besser oder schlechter als das andere.
Es geht darum, den Blick zu schärfen für das Andere und sich darauf einzulassen um etwas zu lernen. Weiterhin behauptet der Autor glaubwürdig, die Spannung, die sich durch die Unterschiede ergibt, enthielte sehr viel kreatives Potential.
Das will ich sehen und darauf würd ich mich freuen !

Die Leser mögen mir die Vereinfachung der obigen Beispiele nachsehen, ich seh' selber, dass sie - so reingestellt etwas platt wirken können.
Mir jedenfalls ging bei der Lektüre 'ne ganze Wessi-Lichterkette auf.
Was mir noch fehlt, ist die Beurteilung des Buches durch einige Ost-Leser.
Falls jemand das Buch kennt, oder vielleicht jetzt erst lesen wird, ich würde gerne darüber diskutieren.

Siehe hierzu die Beiträge im Newsatelier-Forum.

Weitere Bücher zum Thema Ost-West-Kommunikation:

Jana Hensel: Zonenkinder
© Rowohlt-Verlag 2002 ISBN 3-498-02972-X 14,90 €
Die Leipziger Autorin war dreizehn, als der Westen plötzlich in ihr Land schwappte.
Sie beschreibt ihre gebrochene Kindheit, das Verschwinden des DDR-Alltags und das Hineingeworfen werden in eine andere Kultur. Das widersprüchliche Lebensgefühl der Wendekinder artikuliert sich hier auf sehr eindringliche und poetische Weise.
Meine Meinung: unbedingt lesen, es ist Zeit die Perspektive zu wechseln!


Das Buch der Unterschiede: Warum die Einheit keine ist
(Hrsg.: Jana Simon, Frank Rothe, Wiete Andrasch)
© Aufbau-Verlag 2000 ISBN 3-351-02521-1 10.00 €
Dreiundzwanzig junge Autoren aus Ost und West stellen in ihren Geschichten, ihre Eindrücke und Befremdlichkeiten, bei der Wahrnehmung der unterschiedlichen Systeme dar.
Warum die Einheit nur oberflächlich eine Einheit ist, erfährt man hier auf scharfsinnige, sogar manchmal witzige Art.
Meine Meinung: unbedingt lesen, langsam und häppchenweise geniessen!

Luise Endlich: NeuLand - Ganz einfache Geschichten
Fischer-Taschenbuch 2000 3-596-14834-0 7,90 €
© Transit-Verlag 1999
Die Protagonistin ist eine West-Frau, die nach der Wende mit ihrem Mann, einem Arzt, nach Frankfurt/Oder zieht. Sie beschreibt ihre Alltagsbeobachtungen und Erlebnisse mit den Ostdeutschen, aus Westsicht. Diese kommen durch ihre Wessi-Brille betrachtet, immer etwas betulich oder gar dümmlich weg. Es gelingt ihr weder die Reflektion über sich selbst noch über ihre neue Umgebung, sie macht es sich eben zu einfach.
Meine Meinung: Äusserst peinlich und ärgerlich - taugt nicht mal zur Satire.
Ich erwähne es auch nur, weil es in vielen Literaturlisten zum Thema auftaucht.
Vergesst es!



Hier das definitive Standardwerk zur Psychologie der menschlichen Kommunikationsstörungen:
Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden.
Tl.1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation.
© rororo Taschenbücher 1981 ISBN: 3-499-17489-8 8,50 €
Das Buch hat nur auf den ersten Blick nichts mit dem Ost-West-Dialog zu tun, da es in einem früheren Kontext entstanden ist - der Autor erklärt sehr differenziert die individuellen Mechanismen des unabsichtlichen "Aneinander-vorbei-redens". Grundlegend ist hier nicht, wie bei O.G.Klein, der andere kulturelle Kontext; Schulz von Thun analysiert die seelischen Vorgänge und zwischenmenschlichen Verwicklungen, die sich individuell ergeben, wenn Sender und Empfänger aneinandergeraten. Zitat: "...Wenn jemand etwas von sich gibt, so die zentrale These, enthält seine Mitteilung vier psychisch bedeutsame Seiten: Selbstoffenbarung, Sachinhalt, Beziehungshinweis und Appell. Mit jeder dieser vier Aspekte sind typische Probleme verbunden, die meist alle zugleich von Sender und Empfänger bewältigt werden müssen".
Dieses Buch bietet das Handwerkszeug zur Bewältigung von Kommunikationsstörungen allgemein. Zwischen einzelnen Personen, egal aus welchem Kontext - oder eben auch zwischen Ost und West.
Meine Meinung: Unbedingt lesen! Ein Standardwerk. Für alle, die mit anderen Menschen reden.

 

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