John Forbes Nash, A Beautiful Mind und das Gefangenendilemma
Der Irak-Konflikt oder, wie die Amerikaner ticken

08.03.2003

Von Dipl.-Volkswirt. Volker Stöckel

Im Jahre 2001 eroberte ein Film die Kinocharts, welcher, mit vier Oscars prämiert, über das Leben eines amerikanischen Mathematikers erzählt, der 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gemeinsam mit Selden und Harshaniy erhielt. John Forbes Nash ersann in seinen Jugendjahren zu Beginn seiner lebenslang währenden Schizophrenie einen Gleichgewichtszustand, der fortan unter der Bezeichnung Nash-Gleichgewicht weltweite Anerkennung und Anwendung fand.

Nash erkannte, dass die Lehre von Adam Smith, dass man das beste Resultat dann erzielt, wenn jeder in der Gruppe das tut, was für ihn am besten ist, erweitert werden muss darum, dass jeder in der Gruppe das tut, was für ihn am besten ist und für die Gruppe. Das bedeutet nichts anderes, als dass jedes Gruppenmitglied auf der Suche nach seinem persönlichen maximalen Nutzen sich darüber im Klaren ist, dass alle anderen genau dasselbe tun und sich dabei bewusst sind, dass alle anderen ihren persönlichen Nutzen maximieren und dabei wissen, dass der andere dies unter derselben Prämisse auch tut und so weiter und so fort in unendlicher Folge; also antizipieren Verhandlungsgegner das Verhalten des anderen aufgrund ihres eigenen Verhaltens. Diese Erkenntnis geht in der Spieltheorie auch deutlich aus dem Gefangenendilemma hervor, dessen Lösung ein Nash-Gleichgewicht ist. 

Gefangenendilemma
Zwei Verdächtige werden in Einzelhaft genommen. Der Staatsanwalt ist sich sicher, dass sie beide eines schweren Verbrechens schuldig sind, doch verfügt er über keine ausreichende Beweise, um sie vor Gericht zu überführen. Er weißt jeden Verdächtigen darauf hin, dass er zwei Möglichkeiten hat: das Verbrechen zu gestehen oder aber nicht zu gestehen. Wenn beide nicht gestehen, dann - so erklärt der Staatsanwalt - wird er sie wegen ein paar minderer Delikte wie illegaler Waffenbesitz anklagen, und sie werden ein geringe Strafe bekommen. Wenn beide gestehen, werden sie zusammen angeklagt, aber er wird nicht die Höchststrafe beantragen. Macht einer ein Geständnis, der andere jedoch nicht, so wird der Geständige nach kurzer Zeit freigelassen, während der andere die Höchstrafe erhält. (Luce und Raiffa, 1957, S. 95)

Diese Situation kann mit Hilfe der Spieltheorie gelöst werden. Beide Spieler (Gefangene) haben jeweils zwei reine Strategien zur Auswahl: Nicht Gestehen oder Gestehen. Je nachdem, welche Strategien die beiden wählen, ergibt sich eine bestimmte Strategienkombination; insgesamt sind vier Kombinationen von reinen Strategien möglich. Die vier Kombinationen und die sich hieraus ergebenen Haftjahre für die Spieler lassen sich durch die folgende Matrix zusammenfassen:

Spieler 2

Nicht Gestehen

Gestehen

Spieler 1

 

 

Nicht Gestehen

1 Jahr für 1
1 Jahr für 2

3 Monate für 2
10 Jahre für 1

Gestehen

10 Jahre für 2
3 Monate für 1

8 Jahre für 1
8 Jahre für 2










Weiteere Regeln sind implizit: 1. Beide Gefangenen wählen ihre Strategie gleichzeitig, ohne die Wahl des Mitspielers zu kennen. 2. Eine Kommunikation zwischen beiden, die eine Koordinierung der Strategien ermöglichen könnte oder gar der Abschluss von bindenden Vereinbarungen, sind nicht zugelassen. 3. Beide Spieler verhalten sich rational. Die Situation des Gefangenendilemmas kann auf beliebig viele Spieler und Strategien erweitert werden und ergibt die Menge von Ereignissen.

Lösung:
Die Lösung dieses Dilemmas besteht darin, beiden Gefangenen ein Geständnis zu empfehlen; somit ist in der beschriebenen Situation Gestehen die einzig individuell rationale Strategie. Angenommen, Spieler 2 verfolgt die Strategie nicht zu gestehen; dann wäre es für Spieler 1 günstiger zu gestehen. Aber auch falls 2 gesteht, ist für 1 ein Geständnis die beste Strategie. Wählen beide Spieler eine solchermaßen dominante Strategie, so ergibt sich ein Gleichgewichtszustand, weil keiner der Spieler, gegeben der Strategie des anderen, einen Anreiz hat, eine andere Strategie zu wählen. Bei diesem Gleichgewicht in dominanten Strategien handelt es sich um ein Beispiel für ein Nash-Gleichgewicht. Tatsächlich handelt es sich um ein Ergebnis, wo zum einen jeder Spieler in der Gruppe das tut, was für ihn am besten ist und zum anderen, was für die Gruppe der beiden Spieler am besten ist unter den gegebenen Annahmen. Jedoch ist dieses Ergebnis nicht effizient, denn es wäre entsprechend dem schwachen Pareto-Prinzip möglich, jeden Spieler besser zu stellen, ohne den anderen schlechter zu stellen, wenn beide nicht gestehen.  Nachdem diese Erkenntnis publik wurde, fand die Idee der regulierenden Dynamik des Nash-Gleichgewichts Anwendung bei der Versteigerung von Telekommunikationslizenzen, bei Kartellrechtsfällen u.ä.. Das Gefangenendilemma und das hier erscheinende Nash-Gleichgewicht ist auf einen breiten Bereich ökonomischer und politischer Phänomene anwendbar. Bei Rüstungskontrollen zum Beispiel interpretieren wir die Strategie Gestehen als entwickle eine neue Rakete und die Strategie nicht gestehen als entwickle sie nicht .

Mit Bezug auf die aktuelle Situation läßt sich auch zeigen, warum sich die amerikanische Administration zu einem Irak-Krieg veranlasst sieht.

George W. Bush

nachgeben

hart bleiben

Saddam Hussein

 

 

nachgeben

Frieden für Bush
Frieden für Hussein

Macht für Bush
Ohnmacht für Hussein

hart bleiben

Macht für Hussein
Ohnmacht für Bush

Krieg für Bush
Krieg für Hussein








  
Man betrachte Husseins beste Strategie unter der Prämisse, dass Bush nachgibt. Würde Hussein nachgeben, bedeutete es für ihn Frieden, bleibt er jedoch hart, so ergäbe sich für ihn Macht. Also entscheidet sich Hussein dafür, hart zu bleiben. Unter der Prämisse, dass Bush hart bleibt, würde für Hussein ein Nachgeben Ohnmacht bedeuten und ein hart bleiben Krieg. In dieser Betrachtung wird vereinfachend einer sehr komplexen Situation für beide angenommen, dass sie Macht mindestens so gut finden wie Frieden mindestens so gut finden wie Krieg mindestens so gut finden wie Ohnmacht. 

Somit zeigt sich folgendes Präferenzprofil: 

Hussein: Macht > Frieden > Krieg > Ohnmacht
Bush: Macht > Frieden > Krieg > Ohnmacht

Im obigen Beispiel lautet das Nash-Gleichgewicht für beide hart bleiben und führt somit zum Krieg. Dabei lassen sich angesichts der komplexen Situation die Ereignisse asymmetrisch interpretieren. Zum Beispiel könnte Macht für Bush synonym für Sicherheit sein, bei Hussein synonym für Territorialherrschaft. Frieden könnte für Bush normal sein, für Hussein dagegen unnormal und vice versa et cetera.

Es ist zu berücksichtigen, dass der aktuelle Irakkonflikt eher ein wiederholtes Spiel ist und dass die Situation der Amerikaner zeitlich zunehmend eher dem Spiel „burning the bridges“ gleicht. Geht man jedoch davon aus, dass es sich hier um die ultimative Entscheidung handelt, treffen alle Annahmen des Gefangenendilemmas zu und wir haben hier einen typischen Fall eines Nash-Gleichgewichts. Mit Hilfe solcher spieltheoretischen Konzepte werden in den Vereinigten Staaten Sachverhalte untersucht und Entscheidungen getroffen; es bietet sich so die Möglichkeit, rationale Entscheidungen zu begründen.

Literatur:
Manfred J. Holler/Gerhard Illing: Einführung in die Spieltheorie, Springer-Verlag Berlin 1991
Hal Varian: Grundzüge der Mikroökonomik, Oldenbourg Verlag München, 1999

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