31.03.2004

Psychische Kriegsfolgen unter der Zivilbevölkerung

(MF) Spontane Abwehrhaltung ist die normale und typische Reaktion, wenn man mit menschlicher Grausamkeit und seelischem Leid konfrontiert wird. Aus diesem Grunde scheitern Politiker und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen immer wieder daran, die Tiefen der kriegsbedingten Traumata richtig einzuschätzen.

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass Krieg zwar eine Hölle sei, aber wenn der Konflikt erst mal beigelegt ist, werde sich der Alltag wieder einfinden.
Dies ist die typische Einstellung in Bezug auf die meisten traumatischen Erlebnisse, angefangen bei Kindesmisshandlung bis hin zur Vergewaltigung. Aber traumatische Erlebnisse hinterlassen Schäden, die keinesfalls abklingen (vergl. Gehirnveränderungen durch Misshandlungen). Häufig brauchen die Opfer Beratung und medizinische Hilfe. In den USA wurden Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) offiziell als Krankheit anerkannt, ausschlaggebend dafür waren die Erfahrungen der Soldaten aus dem Korea- und Vietnamkrieg. Allerdings haben Wissenschaftler erst vor rund 20 Jahren damit begonnen, die Auswirkungen von Krieg auf die Zivilbevölkerung zu untersuchen.
Physisch verwundete Menschen suchen einen Arzt auf, die seelischen Defekte werden jedoch tabuisiert. Meist behalten die Überlebenden eines Krieges ihre Ängste für sich, sie fürchten sich, auf Verständnislosigkeit zu stoßen, und ihre Angst ist begründet.
Unglaube und Desinteresse sind bei den meisten Menschen typisch; es ist das Problem, das alle Menschen haben, wenn sie versuchen das Böse zu verstehen.
Als internationale Organisationen anfingen, die seelische Gesundheit zu versorgen, stießen sie schnell auf Probleme: Zerstörte Seelen lassen sich eben nicht wie zerbombte Häuser und Straßen aufbauen.

Aktuelle Situation von Kindern im Irak

Auch im Irak wurden Kinder Opfer des Krieges. Nach einer ersten Schätzung von Unicef werden rund 500.000 Kinder durch direkte oder indirekte Kriegseinwirkungen traumatisiert worden sein. Schätzungsweise 5000 Kinder werden eine intensive psychologische Einzelbehandlung benötigen, die übrigen Kinder könnten mit einer Gruppentherapie behandelt werden, so Carel de Rooy, Sonderbeauftragter des UN-Kinderhilfswerks in Irak.

Dass die USA für die Kosten haften (ca. 20 $ pro Kind), dürfte eher unwahrscheinlich sein. Vermutlich wird sich die Weltgemeinschaft, vorrangig die EU, an den Kosten beteiligen.

Der Weltverbund für geistige Gesundheit (World Federation of Mental Health) legte eine Studie über posttraumatische Erscheinungen an, mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen. Die Studie offenbarte akute klinische Depressionen in verschiedenen Graden bei 67% und PTSD bei 37% der untersuchten Zivilbevölkerung aus Kriegsgebieten. Vergleichbare Zahlen wurden auch bei bhutanischen Flüchtlingen in Nepal und bosnischen Flüchtlingen in Kroatien gefunden. Zur Verdeutlichung: In einer kriegsfreien Gesellschaft würden 10% bei Depressionen und 8% bei PTSD als besorgniserregend gelten!
Mittlerweile ist auch durch neurobiologische Studien nachgewiesen, dass extreme Erfahrungen dauerhafte Schäden im Hirn hinterlassen. So können traumatischen Erfahrungen eine Schrumpfung des Hippocampus verursachen. (Vergl. Gehirnveränderungen durch Misshandlungen.) Soziale Dysfunktionen sind die Auswirkungen. Studien an bosnischen Flüchtlingen belegen dies. So waren schwere soziale Beeinträchtigungen, die mit psychischen Beeinträchtigungen einhergehen, ausgeprägt. 25% der untersuchten Menschen waren nicht mehr in der Lage, einer geregelten Arbeit nach zu gehen, ihre Familie zu versorgen oder anderen sozialproduktiven Tätigkeiten nachzugehen.
Eine niederländischen Studie über NS-Opfer (die bisher einzig verfügbare Langzeitstudie über 50 Jahre) zeigt, dass die Opfer in den nachfolgenden 50 Jahren eine hohe PTSD-Rate aufwiesen. Diese Rate wurde auf die nächste Generation weiter gegeben: Bei den Kindern von NS-Opfern wurde eine deutlich höhere PTSD-Rate gefunden als in altersgleichen Gruppen. Eine weitere Langzeitstudie wird zur Zeit an den bosnischen Flüchtlingen durchgeführt.
Aber schon jetzt zeigen die Studien: Nahezu jedes Mitglied einer von Kriegswirren heimgesuchten Gesellschaft wird bis zu einem gewissen Maße traumatisiert. Auch wenn die Kriegshandlungen eingestellt werden, Verzweiflung und Misstrauen dominieren den Alltag, das Sozialgefüge einer ganzen Generation wird zu Grunde gerichtet und das der nachfolgenden Generation nachhaltig gestört.

Statistiken aus jüngeren Bürgerkriegen (Quelle: World Federation for Mental Health):


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