"Die USA wollen die Weltherrschaft"
Noam Chomsky im Interview mit der spanischen Zeitung "La Vanguardia"

19.03.2003

(CM) In einem Interview mit der spanischen Zeitung "La Vanguardia", durchgeführt in New York am 11. März 2003, äußerte sich Noam Chomsky u.a. zu folgenden Punkten:
Spanien: "Aznar stellt sich lieber auf die Seite des Mafia-Bosses als auf die Seite von 85% seines Volkes."
Die Kurden: "Die türkische Armee will die militärische Besetzung von Nordirak, das irakische Kurdistan, ausweiten."
Neue globale Politik: "Das Ziel ist, die Welt in Angst zu versetzen und ein Weg dies zu tun, ist ein wehrloses Land anzugreifen."

Noam Chomsky LV: Ist der Krieg unvermeidbar?
Chomsky: Ich fürchte, sie machen das Mögliche, damit es unmöglich wird, den Rückwärtsgang einzulegen. Ich würde sagen, auch wenn Hans Blix kommende Woche sagen würde, es gibt nicht einmal ein kleines Taschenmesser im gesamten irakischen Territorium, wäre es egal. Die US-Administration hat es klar gesagt. Was sie wollen, ist ein Regimewechsel. Das mit der UNO ist eine Farce.
LV: Warum, meinen Sie, setzen Tony Blair und José María Aznar ihren politischen Rückhalt aufs Spiel, indem sie den USA folgen?
Chomsky: Also, es sind verschiedene Fälle. Großbritannien begnügte sich nach dem Zweiten Weltkrieg damit, der "Junior Partner" der USA zu sein, wie es damals das Foreign Office sagte. Ganz gleich welches Ausmaß an Demütigung Großbritannien hinnimmt oder was für Grausamkeiten es begehen muss, es folgt immer noch. Die Alternative ist sich mit Europa zu verbünden und nur ein Land unter vielen zu sein. Bei Spanien ist es anders. Meines Erachtens - so wie im Fall Berlusconi- ist es purer Opportunismus. Sie stellen sich lieber an die Seite des Mafia-Bosses als auf 85 % ihrer Bevölkerung zu hören. Verlieren wir keine Zeit mit dem Gedanken, dass beide große Staatsmänner wären, die Wahlstimmen im Namen einer Überzeugung opfern., Was für ein absurder Gedanke! Es ist eine einfache Wahl: Du bist auf der Seite der Macht oder der Demokratie. Und sie wählten die Macht.
LV: Im Gegensatz z.B. zu der Türkei....
Chomsky: Was die türkische Regierung getan hat, ist großartig und viele westliche Regierungen sollten sich schämen, hat die Türkei gerade ein Beispiel an demokratischem Kompromiss geliefert. 95% der Türken ist gegen den Krieg und sowohl das Parlament als auch die Regierung hörten auf sie. Das nennt man Demokratie. Aber ich bin skeptisch, ob es möglich sein wird, dass sie ihren Widerstand aufrecht erhalten . Auf irgendeiner Weise, nehme ich an, werden die USA sie zum Einlenken zwingen.
LV: Wie?
Chomsky: Erstens, haben sie große wirtschaftliche Waffen. Zweitens, obwohl die Türkei formell eine Demokratie ist, bleibt sie tatsächlich unter einem Militärregime durch den Nationalen Sicherheitsrat. Folglich wird die Bedrohung eines Militärputsches immer aufrecht erhalten. Ich war vor ein paar Wochen in der Türkei. Ich hielt Vorträge in mehreren Universitäten und meine türkischen Freunde versicherten mir, ich sollte davon ausgehen, ein großer Prozentsatz des anwesenden Publikums wäre Geheimpolizei. Man muss die türkischen Intellektuellen bewundern. Sie sind nicht wie unsere. Sie werden ständig bedroht und sie äußern nicht nur ihre Meinung sondern sind ungehorsam. Aber ich fürchte, wenn die Militärmacht beschließt die parlamentarische Entscheidung nicht zu akzeptieren, gibt es Wege das Parlament zu übergehen.
LV: Sie spielen auf einen Putsch an?
Chomsky: Ich glaube nicht, dass ein Putsch notwendig sein wird. Das Macht- und Sicherheitssystem in der Türkei ist schon so gestaltet, damit sich die Militärs über die Entscheidungen der Regierung erheben können. Noch dazu, die türkische Armee wird sehr besorgt sein wenn, die USA damit drohen sollten, eine größere Autonomie der 4 Millionen Kurden im Nordosten des Iraks zu unterstützen. Die Türkei hat 50 Millionen Kurden und die Armee will die militärische Besetzung des Nordiraks ausdehnen. Denken Sie daran, in den achtziger Jahren haben die USA und die Türkei eine der schlimmsten Grausamkeiten gegen die Kurden verübt und die Auswirkungen sind noch in den Armenvierteln von Istanbul sichtbar. Sie sind voller Kurden, die damals in die Stadt geflüchtet sind. . Die überwältigende Mehrheit der türkischen Kurden ist gegen den Krieg, denn sie glauben, dass in so einem Kontext die Repression wieder aufkommen wird. Das ist keine unbegründete Angst.
LV: Geht es in diesem Krieg um Erdöl?
Chomsky: Das Erdöl ist ein wichtiger Faktor. Aber es ist schon lange her - 80 Jahre- dass das Öl eine treibende Kraft in der Außenpolitik der USA ist, also muss es andere Faktoren geben.
LV: Welche?
Chomsky: Erstens, innenpolitische Erwägungen. Im Propagandasystem der Vereinigten Staaten verwandelte sich Saddam Hussein im September vom schlechten Typen in eine Bedrohung für die Existenz der USA. Im September, auf einmal, fingen die Meinungsumfragen auch an, folgende Frage zu stellen: "Glauben Sie, dass Saddam Hussein eine unmittelbare Bedrohung ist?" Seitdem denkt etwa zwei Drittel der Bevölkerung, wenn wir Saddam nicht heute stoppen, wird er uns morgen umbringen. Seltsamerweise ist das amerikanische Volk das einzige auf der Welt -mit Ausnahme des irakischen Volkes- das diese Angst vor Saddam Hussein hat. In Nachbarländer wie Kuwait und Iran wird er verachtet, aber man hat keine Angst vor ihm. Nun, was passierte im Herbst 2002? Es fanden die Kongresswahlen in USA statt. Die Administration musste verhindern, dass Probleme wie Enron, die Renten oder die Arbeitslosigkeit zu Wahlkampfthemen wurden. Und wenn sie Angst haben, suchen die Leute den Schutz der Macht. Das weiß die Administration zur genüge. Das wussten sie schon in den achtziger Jahren. Werfen Sie einen Blick in ihre Lebensläufe. Alle sind Männer der Reagan-Administration und der von Bush senior. Das erste was Reagan 1981 machte war, den Krieg gegen den Terror zu erklären. Uns wurde gesagt, dass es frei herumlaufende lybische Terroristen in Washington gäbe, dass die Russen uns von einer air base in der Insel Granada -die sie besetzt hatten- bombardieren würden. Danach sagten sie, dass die nicaraguanische Sandinisten nur ein Zwei-Tages-Marsch von Texas entfernt wären und sie riefen einen nationalen Ausnahmezustand aus, denn die nationale Sicherheit war angeblich damals von Nicaragua bedroht...
LV: Was für eine Bedrohung...!
Chomsky: Aber es gibt eine andere Erklärung. Es existiert eine neue globale Politik, im National Strategy Report von Oktober offen dargelegt. Dieser erklärt detailliert in Anbetracht der Tatsache, dass die USA Gewaltmittel betreffend eine größere Macht besitzt als der Rest der Welt zusammen, muss es diese Macht geltend machen, um sich die Herrschaft über die Welt jetzt und für immer zu sichern. Das sage nicht ich, sondern sie im o.g. Bericht. Sie erklären sogar, man wird präventiv agieren müssen, damit niemand diese Macht herausfordert. Der Zweck ist wiederum, dass die ganze Welt Angst hat. Und ein Weg dies zu vollbringen besteht darin, ein wehrloses Land anzugreifen.

Zu Noam Chomsky:

Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und hat in den 60er Jahren die Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der prominentesten und schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung und des US-Imperialismus. Obwohl er von der New York Times als "einflußreichster westliche Interlektuelle" und als "bekanntester Dissident der Welt" bezeichnet wird, wird er von den Mainstreammedien und im politischen Diskurs weitgehend ignoriert. Er hat über 57 Bücher über US Interventionismus in den Entwicklungsländern, die politische Ökonomie der Menschenrechte und die Propagandarolle der Medien in unserer Gesellschaft geschrieben.

Quelle: www.chomskyarchiv.de

LV: Und die Massenvernichtungswaffen?
Chomsky: Es liegt auf der Hand, dass diese Politik das Risiko der Vermehrung von Massenvernichtungswaffen erhöht und nicht vermindert und sie erhöht auch das Terror-Risiko in den USA. Das wissen sowohl die Administration als auch der CIA. Aber es ist ihnen egal. Denn sie glauben -wahrscheinlich mit Recht- ihre Gewaltmittel sind so groß, dass es ganz egal ist, was gesagt wird.
LV: Michael Ignatieff (Dozent sowie Chomsky an der Harvard Universität) hat gerade eine Verteidigungsschrift veröffentlicht über das, was er als das "US-amerikanische Imperium" bezeichnet. Es soll der einzige globale Polizist sein, der imstande ist, den Konflikt zu verhindern. Was halten Sie davon?
Chomsky: Ungefähr dasselbe wie von den Nazi-Intellektuellen, die genau dasselbe über Deutschland sagten. Schauen wir uns

die Vergangenheit an. Hat das US-Imperium den Frieden, die Demokratie und die Ordnung gesichert? In Lateinamerika zum Beispiel? In dieser Region haben die USA ihren Willen mehr als in jeder anderen Region der Welt durchgesetzt, ohne von Europa oder Russland gestört zu werden. Ignatieff sagt sogar, in Vietnam hat es einen "tragischen Konflikt" zwischen den USA und den Nordvietnamesen gegeben, bezüglich zweier Methoden "eine Nation aufzubauen". War das wirklich so? Wenn es so wäre, warum war Südvietnam das Hauptangriffsziel der amerikanischen Bombardements? Er sagt weiter, der Schlüsselfaktor, der entscheiden wird, ob der Krieg in Irak gerechtfertigt ist, sei der Konflikt in Palästina. Eben deshalb -sagt er- muss USA gewährleisten, dass es eine diplomatische Lösung diese Konfliktes gibt. Aber schauen wir uns das mal an, es gibt Zeitungsarchive. 25 Jahre lang haben die USA einseitig die diplomatische Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes gegenüber dem Rest der Welt blockiert. Was für einen Sinn hat es jetzt zu sagen, sie müssen eingreifen, um ihn zu lösen?
LV: Welche soll die Antwort der Journalisten beim Vorschlag von Donald Rumsfeld sein, 1000 Reporter in den Reihen der US-Truppen "einzubetten"?
Chomsky: Rumsfeld rechnet offensichtlich damit, dass dieser Krieg nicht mehr als ein paar Tage dauern wird und das Wahrscheinlichste ist, er hat Recht. Das kann man nicht Krieg nennen. Es handelt sich um ein Land der Dritten Welt gegen USA und Großbritannien, die zwei größten Militärmächte der Geschichte. Wie dies Krieg nennen? Es geht vielmehr um die Frage: Was für eine Art Massaker wird das sein? Und Rumsfeld schätzt wahrscheinlich richtig, dass es sehr kurz sein wird und eben deshalb, warum nicht Journalisten mitnehmen. In Anbetracht des Gesagten, kein seriöser Journalist würde annehmen.

Quelle: www.lavanguardia.es


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