Gedanken zur Bücherverbrennung vor 70 Jahren am 10. Mai 1933

10.05.2003

(HN) "Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." (Heinrich Heine)
Heines Worte haben etwas Prophetisches. Er konnte nicht wissen, was am 10. Mai 1933 in deutschen Städten geschehen würde. Und doch sollte seine Vision brutale Realität werden. Am 10. Mai 1933 wurden in Deutschland wieder Bücher verbrannt - geplant und systematisch dieses Mal. Die Scheiterhaufen, die in mehreren deutschen Städten brannten, wurden errichtet von Studenten, Professoren und Organen der Nationalsozialisten. Sie zerstörten einen wichtigen und großen Teil der deutschen Kultur.
Begleitet von "Feuersprüchen", in denen einige wenige Autoren genannt wurden, wurden die Bücher ins Feuer geworfen.



Am 15.Mai 1933 erschien im "Neuköllner Tageblatt" folgender Artikel über den rituellen Ablauf einer Bücherverbrennung durch Nationalsozialisten unter der Überschrift: "Die Rufer".
Bücherverbrennung
Während der Verbrennung der Bücher spielten SA- und SS-Kapellen vaterländische Weisen und Marschlieder, bis neun Vertreter der Studentenschaft, denen die Werke nach einzelnen Gebieten zugeteilt waren, mit markanten Worten die Bücher des undeutschen Geistes dem Feuer übergaben.

1. Rufer: Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.

2. Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.

3. Rufer: Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Förster.

4. Rufer: Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.

5. Rufer: Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann.

6. Rufer: Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.

7. Rufer: Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.

8. Rufer: Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.

9. Rufer: Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem Unsterblichen


Der Geist der Nazizeit wird deutlich, wenn man folgenden Artikel aus der Jenaischen Zeitung vom 28. August 1933 liest:
Auch in Jena loderten Flammen - am 26. August 1933

"...In welcher schlicht-würdigen Weise Jena am Sonnabend vormittag das einjährige Regierungsjubiläum der nationalsozialistischen thüringischen Regierung feierte, haben wir bereits berichtet.

Den ganzen Tag über herrschte Festtagsstimmung, die sich immer mehr steigerte und am Abend ihren Höhepunkt erreichte.

Um 5:30 Uhr marschierte dann die NSBO und die Hitlerjugend auf dem Marktplatz auf. Die Fahnen nahmen vor dem Bismarckbrunnnen Aufstellung. Ein großer Scheiterhaufen von marxistischen Fahnen und Büchern war aufgerichtet worden - und bald loderte eine große Flamme empor und vernichtete die Symbole und geistigen Erzeugnisse einstiger Marxistenherrschaft. Schweigend und ergriffen von der symbolhaften Handlung sah die Menge diesem Schauspiel zu. Als der Haufen immer mehr zu Asche zerfiel, reckten sich spontan die Arme empor - und über dem Marktplatz erklang das Deutschlandlied. Dann rückten die Formationen wieder ab.

Am Abend traf sich ganz Jena wieder auf dem Marktplatz zum Konzert der Stahlhelmkapelle. Während die Scheinwerfer von Zeiß durch die Nacht blitzten und die Gasflammen auf dem Platz wie Fanale loderten, während die Fahnen des neuen Deutschland grüßten und die Marschweisen der Kapelle ertönten, wogte eine dichte Menschenmenge auf und ab. Die Lokale am Marktplatz waren ebenfalls stark besetzt.

Die Jenaer SA war zu einem fröhlichen Beisammensein im Felsenkeller zusammengekommen, wo die SA Kapelle spielte.

In den Straßen war ein lebhafter Verkehr, der erst spät am Abend langsam nachließ. Als die nacht immer tiefer herabsank, trat allmählich Ruhe ein...."


Erich Kästner war einer der Autoren, dessen Bücher verbrannt wurden, der persönlich bei der Bücherverbrennung zusah - verborgen in der Menschenmenge:
"Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. ... Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: "Dort steht ja Kästner!" Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen." (In: Erich Kästner: Bei Durchsicht meiner Bücher)
Oskar Maria Graf gehörte zu den wenigen humanistischen Schriftstellern, deren Werke von der Barbarei verschont blieben. Er war mutig genug, gegen die Bücherverbrennung öffentlich das Wort zu erheben. Er schrieb:
Verbrennt mich
Protest anlässlich der Bücherverbrennung

Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen Abwesenheit aus München erschien die Polizei in meiner dortigen Wohnung, um mich zu verhaften. Sie beschlagnahmte einen großen Teil unwiederbringlicher Manuskripte, mühsam zusammengetragenes Quellenstudien-Material, meine sämtlichen Geschäftspapiere und einen großen Teil meiner Bücher. Das alles harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung. Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und - was am Schlimmsten ist - die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen. Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut "Berliner Börsencourier" stehe ich auf der "weißen Autorenliste" des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes "Wir sind Gefangene", werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des "neuen" deutschen Geistes zu sein! Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient? Das "Dritte Reich" hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht.

Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff "deutsch" durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden. Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer "Geistigen" zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte "weiße Liste" zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! Alle anständigen Zeitungen werden um Abdruck dieses Protestes ersucht.
Bertold Brecht nahm Bezug hierauf in folgendem Gedicht:
Die Bücherverbrennung

Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen
Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben
Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern
Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte
Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der
Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine
Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch
Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber.
Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt
mich!
Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht
Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt
Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch,
Verbrennt mich!


Was könnte die Nazis veranlasst haben, wertvollstes literarisches Kulturgut zu vernichten?
Sie handelten wie alle Diktaturen, aus Angst vor der Macht des Wortes, vor der Macht des humanistischen Geistes.

Von Heinrich Böll stammt der Satz:
"Die Humanität eines Landes läßt sich daran erkennen, was in seinem Abfall landet, was an Alltäglichem, noch Brauchbarem, was an Poesie weggeworfen, der Vernichtung fuer wert erachtet wird."
Wenn sich am Samstag, dem 10. Mai der Tag der Bücherverbrennung zum 70. Male jährt, sollten wir uns dieser Barbarei erinnern und es als Auftrag betrachten, jedweden Anfängen derartigen Geistes zu wehren.

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