Die Aussagekraft der Börsenkurse oder warum sollte man sich damit befassen

05.10.2002

Um Kapital unproblematisch zu erhalten, bedienen sich Unternehmen der Möglichkeit, zu Aktiengesellschaften zu konvertieren; hierdurch wird das Grundkapital der Unternehmen in Rechte zerstückelt am Kapitalmarkt gehandelt. Zunächst werden diese Rechte als Aktien an Nachfrager zum sog. Nennwert verkauft, wodurch neues Kapital in die Firma fließt. Nunmehr handeln die Protagonisten an der Börse mit diesen Papieren. Dabei bilden sich entsprechend dem Gesetz von Angebot und Nachfrage die Preise für diese Aktien, die sog. Kurse. Unabhängig davon, was das Unternehmen tatsächlich wert ist, bzw. welche Nennwerte die Aktien entsprechend dem Grundkapital repräsentieren, wird das Unternehmen so am Kapitalmarkt neu bewertet. Ein Rückkauf der Aktien ist eigentlich nicht möglich.Theoretisch soll so aktuell ein möglichst klares und ehrliches Bild über den wirtschaftlichen Zustand des Unternehmens der Öffentlichkeit verkürzt gegeben werden, denn es wird davon ausgegangen, daß insbesondere die Investoren versuchen, ständig für die Investition möglichst viele und aussagekräftige Informationen über die zukünftige Entwicklung der Unternehmung zu erhalten; hierzu werden Unternehmensdaten herangezogen, auf deren Grundlage sich die Kurse bilden.

In der Betriebswirtschaftslehre gibt es für diesen Zweck die interne und die externe Rechnungslegung. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Instrumente der externen Rechnungslegung, die Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung, sind aber eigentlich gar nicht dazu in der Lage. Sie zeigen nämlich nur, was mit dem Unternehmen in der Vergangenheit geschehen ist. Auf der Basis solcher Vergangenheitsdaten versuchen Kapitalgeber, d.h. Aktionäre, Banken, Investoren, Lieferanten, Fiskus (Steueransprüche, die ja nie im Augenblick des Entstehens sofort ans Finanzamt gezahlt werden) u.ä., zu prognostizieren, wie sicher ihr Kapital und wie hoch die Verzinsung, bzw. wann mit rechtzeitigen Maßnahmen, z.B. dem Verkauf der Investition, vorzugehen ist; hiernach bildet sich bei einer Aktiengesellschaft der Unternehmenswert als Produkt von Aktienstückzahl und Kurs.

Es ist dabei eine zweite Fiktion zu glauben, durch die gemeinsame Überwachung vieler Interessenten des Kapitalmarktes könne noch eher ermittelt und gezeigt werden, was eine Unternehmung tatsächlich wert ist. Eine schlechte Bewertung wird nicht dadurch besser, daß sie vervielfacht wird. Selbst, wenn man davon ausgeht, daß die Unternehmen und Investoren alle Tricks und Schlichen (Mängel) der Bilanzierung u.a. kennen, handelt es sich zudem um nichts anderes, als die externe Bewertung interner Rechnungslegung; dabei ist die interne Rechnungslegung (z.B. Controlling) zwar maßgeblich für die externe, kann jedoch wesentlich manipuliert sein und somit nicht als wahre Grundlage dienen. Denn natürlich hat die Unternehmung einen Anreiz, durch die Rechnungslegung möglichst sauber und aussagekräftig erscheinende Daten dem Markt zu liefern (z.b. Unternehmenswerbebroschüren), insbesondere, wenn sie noch weitere Aktien emitieren will.

Tatsächlich gibt es nur eine Person, die wirklich weiß, wie es um ihre Firma bestellt ist. Diese ist der Unternehmer selbst, bzw. im Falle einer Aktiengesellschaft, der Vorstandsvorsitzende. Und genau dieser hat ein Interesse daran, möglichst wenig seiner Informationen diesbezüglich dem Markt kundzutun und seine Unternehmung in dem Licht erscheinen zu lassen, indem sie am Markt die Aktien zum möglichst hohen Nennwert verkaufen kann. Was genau der Kapitalmarkt dann mit den Aktien macht, also welche Kurse sich bilden, ist für das Unternehmen zweitrangig. Vor allem der Extremfall eines extrem niedrigen Kurses ist für das Unternehmen relevant, bei dem der Vorstandsvorsitzende nämlich damit rechnen müßte, daß irgend jemand die Mehrzahl der Aktien aufkauft und dann als Haupteigentümer der Unternehmung Vorschriften macht, z.B. das Unternehmen zerstückelt weiterveräußert. Auch würde dann der Versuch, weitere Aktien zu emitieren, kaum Sinn machen, da die Kapitaleinnahmen verhältnismäßig gering wären. Ansonsten bedeutet die Volatilität der Aktien dem Unternehmen wohl Einfluß auf die Emitationspolitik und das Image, es kann dem ganzen aber sonst gelassen gegenüberstehen.

Eigentlich ist der Aktiengang eines Unternehmens ja gerade dadurch begründet, einer problematischen und teuren Kreditaufnahme durch Banken zu entgehen. Insofern die Kreditwürdigkeit von Unternehmen bei Banken vom Aktienkurs abhängig gemacht wird, ist festzustellen, daß ein solcher Zusammenhang nach den hiesigen Ausführungen, wahrscheinlich aus Profitgründen, offensichtlich künstlich hoch gehalten wird. Ökonomisch läßt sich nur vermuten, daß die Banken dem fragwürdigen Urteil des Kapitalmarktes trotz aller Schwächen große Bedeutung zumessen oder diese Bedeutung aus Eigeninteresse kolportieren.

Es ist somit zu konstatieren, daß sich die verschiedenen Interessenten eines Unternehmens in einem Zustand gegebener Informationsasymmetrie befinden, der dazu führt, daß Aktienbewertungen am Kapitalmarkt kaum bis gar nicht sinnhaft begründbar sind. Andererseits muß damit aber auch gesagt sein, daß der Aktienkurs niemals verlässliche Aussagen über den realen Zustand einer Unternehmung macht. Daraus folgt, insofern der Aktienmarkt funktioniert, gilt es, keinerlei Zusammenhänge zwischen Börse und Wirtschaft zu sehen. Der Aktienmarkt funktioniert also vollständig unabhängig vom realen wirtschaftlichen Geschehen der Volkswirtschaft.

Insbesondere für Deutschland gilt, daß mehr als 98 % der privaten Unternehmen mit der Börse überhaupt nichts zutun haben, da es sich nicht um Aktiengesellschaften handelt. Was in diesem Großteil der Wirtschaft geschieht, funktioniert ohne jeglichen Einfluß des Aktienmarktes. Eher hat die Zinspolitik der Zentralbank auf diese Unternehmen einen wesentlichen Einfluß. Anders ist es in den USA. Hier investiert ein Großteil der Bürger ihre Altersrücklagen am Aktienmarkt über die New York Stock Exchange. In den USA besitzt jeder fünfte Bürger Aktien, in Deutschland nur jeder zwanzigste.  Insofern nun hier die Kurse allgemein sinken, läßt sich empirisch zeigen, daß die Amerikaner aus Vorsicht mehr sparen, d.h. weniger konsumieren. Dieses hat zur Folge, daß die USA weniger Waren aus dem Ausland, wie z.B. Deutschland, importiert. Hieraus erklärt sich dann eine geringere Nachfrage deutscher Güter, es wird weniger produziert und hieraus folgt eine geringere Beschäftigung.

 

Es lässt sich somit folgendes festhalten:

  • 1.Das Geschehen am deutschen Aktienmarkt hat fast keine Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.
  • 2.Das Geschehen am US-Aktienmarkt hat verhältnimäßig große Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.

    Somit sollte klar sein, daß die tägliche Berichterstattung in den Medien über die Börsen lediglich Relevanz hat für diejehnigen, die hier aktiv investieren oder spekulieren sowie für den Zuschauer als Voyeur. Für Deutschland als Staat hat es kaum Bedeutung.

    Volker Stöckel
    Dipl.-Volkswirt


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